Wo sind die Bienen?
Warum im chinesischen Sichuan der Mensch die Aufgabe der Biene übernimmt
Zwischen nebelverhangenen Bergspitzen säumen die Landschaft von Sichuan unzählige weißblühenden Birnenbäume - die reinste Idylle. Doch wenn man einen Moment inne hält, fällt etwas auf: Es herrscht Stille. Totenstille. Keine Biene summt und kein Vogel zwitschert. Wie ist es dazu gekommen?
Massenmord in China - der Krieg gegen die Spatzen
Alles findet in den 60er Jahren, während der Herrschaft von Mao Zedong, seinen Anfang. Mao Zedong wollte China weiter bringen und mithilfe vom “Sprung nach vorne” das Land radikal umkrempeln und den Rückstand zu den westlichen Industrienationen aufholen. Das sollte unter anderem durch die Steigerung der Landwirtschaft erreicht werden. In einer Rede verkündete Mao, wer dem aus seiner Sicht im Weg stand: Stechmücken, Fliegen, Ratten - und Spatzen.
Sie alle müssten ausgerottet werden, in ganz China solle es keines dieser “Ungeziefer” mehr geben. Auf die Spatzen hatte es Mao besonders abgesehen, er sah sie praktisch als Staatsfeind Nummer 1. Sein Vorwurf: Sie würden Samen aus den Feldern picken und so für eine geringere Ernte sorgen. So rief Mao zum Krieg gegen die Spatzen auf: Er befahl 600 Millionen Chinesen durch wildes Rumgefuchtel, Lärm und gar Steinschleudern die kleinen Spatzen zu verängstigen, sodass sie sich nicht mehr trauten zu landen - kraftlos fielen sie dann nach einiger Zeit vom Himmel.
Der Spatzenhass zeigte sich sogar in der Propagnda der kommunistischen Partei. Der Dichter und Vertraute Maos, Guo Moruo, schrieb ein Gedicht über den kleinen Vogel: "Spatz, du bist ein Mistvogel, ein Verbrecher seit Tausenden Jahren. Heute rechnen wir mit dir ab. Wir schlagen dich und zerstören deine Nester. Am Ende werden wir dich verbrennen. Wenn du und alle vier Übel vernichtet seid, ist die Welt wieder in Harmonie." Letztendlich wurden über 2 Milliarden Tiere während dieser abstrusen Aktion getötet.
Das hat fatale Folgen, denn: Der Spatz frisst gerne Getreideschädlinge. Nachdem es aber keine Spatzen mehr gab, vermehrten sich die Schädlinge explosionsartig und sorgten für riesige Ernteausfälle und große Hungersnot in China. So musste Mao seine Blamage eingestehen und Spatzen aus fremden Ländern importieren. Gleichzeitig sollte das entstandene Insekten-Problem mithilfe von Pestiziden gelöst werden - ein Todesurteil für Insekten in China.
Wenn Menschen per Hand bestäuben müssen
Sichuan ist nicht nur einer der wichtigsten Birnenproduzenten Chinas, sondern versorgt die ganze Welt mit saftigen Birnen. Der aggressive Einsatz von Chemie tötete auch dort einen Großteil der Insekten und verwandelte die Blüten der Birnenbäume in tödliches Bienengift. So flüchten die wenigen übrig geblieben Bienenzüchter spätestens zur Blütezeit aus der Region, um ihre Völker zu beschützen. Damit verstummt selbst das allerletzte Summen in Sichuan.
Ohne Bienen gibt es aber keine Bestäubung und ohne Bestäubung keine Ernte. So musste die Regierung eine Entscheidung treffen: ab jetzt “schwärmen” menschliche Arbeiter aus und bestäuben Apfel- und Birnenbäume per Hand. Ein verstörendes Bild, das Maja Lunde in ihrem Roman “Die Geschichte der Bienen” als Dystopie im Jahre 2098 zeichnet - in Sichuan ist das keine düstere Zukunftsprognose, sondern schon jetzt erschreckende Wirklichkeit.
Zwei mal täglich müssen Arbeiter dort in schwindelerregende Höhen klettern, um mithilfe eines Federbüschels oder Wattestäbchen Blüte für Blüte zu bestäuben. Eine monotone Arbeit, die für die Ärmeren der Bevölkerung bestimmt ist. Jeden Tag schafft ein Arbeiter etwa 30 Obstbäume. Zum Vergleich: ein Bienenvolk schafft bis zu 16,5 Millionen Blüten pro Tag. An solche Rekordwerte kommen selbst neu entwickelte elektrische Drohnen nicht heran. Die Bienen sind eben wahre Wundertierchen.
Kein Sichuan 2.0: So kannst Du den Bienen unter die Flügel greifen
Damit es bei uns gar nicht erst soweit kommt, wie in China, kannst Du einige Dinge auf eigenen Faust erledigen. Bereits das Ansäen von Bienenweiden und insektenfreundlichen Pflanzen kann einen großen Unterschied machen. Auch der Konsum von regionalem Honig ist eine Möglichkeit, um durch eigene Entscheidungen einen Beitrag zur Biodiversität leisten. Im Supermarktregal finden sich viele importierte Honige, darunter auch chinesischer. Dieser ist besonders problematisch: ein Kauf unterstützt die dubiosen Produktionsweisen und die unnatürliche Bienenhaltung. Mehr über die Honigproduktion in China findest Du in unserem Blog. Gleichzeitig gefährdet der chinesische Billighonig den europäischen Markt. Die niedrigen Preise der asiatischen Erzeugnisse drücken den Marktwert des Honigs nach unten und machen es für europäische Imker immer schwerer dem Konkurrenzdruck standzuhalten. Sie müssen schließlich mit dem Erlös der Verkäufe ihre Ausgaben decken und ihr Leben finanzieren. Der niedrige Grundpreis des Honigs macht das immer schwieriger.
Bilder:
Header: Maximilian Prüfer A Gift From Him documentation.jpg von Maximilian Prüfer (CC BY-SA 3.0)