In schwindelnder Höhe

Nester wildlebender Honigbienen

Bienennest an einem Baum

Heutzutage sind die meisten Honigbienen Haustiere. Zwar muss man nicht jeden Tag mit ihnen Gassi gehen oder ihr Fell bürsten, aber ganz ohne menschliche Hilfe kommen sie dann doch nicht aus – die meisten zumindest nicht. Über die Jahrtausende hinweg wurde die Beziehung zwischen Mensch und Biene immer enger. So schlugen mittelalterliche Zeidler Höhlen für Bienen in Bäume, sodass sie immer genau wussten, wo sich Bienennester zur Honigernte befanden. Die Bienen rückten mit der Zeit immer näher an die Wohngebiete der Menschen heran und werden heute meist in Beuten von Imkern gehalten - eben wie “Haustiere”. 
Dennoch finden sich in ungestörten Waldgebieten nach wie vor wild lebende Honigbienen. Sie sind allerdings sehr selten und es ist schwer zu sagen, wie viele es in Deutschland gibt.

Immobiliensuche nach Art der Biene

Während domestizierte Honigbienen leichtes Spiel bei der Wohnungssuche haben, müssen wilde Honigbienen zunächst die umliegenden Wälder abklappern, um einen passenden Ort zum Nisten zu finden. Besonders gut eignen sich leere, in den Wipfeln gelegene Baumhöhlen - in vielen Fällen handelt es sich dabei um alte Spechthöhlen, deren Vormieter ihr Glück an einem anderen Ort suchten. In diesen Höhlen finden die Bienen Schutz vor Wind, Wetter und dem ein oder anderen Feind, der gerne von ihrem Honig naschen würde. 
Das erste Jahr im neuen Zuhause ist für wildlebende Honigbienen kritisch. Ganz oben auf ihrer Agenda steht der Umbau der Höhle in ein perfektes Nest. Hierfür sind erst einmal sehr viele Waben notwendig, z. B. für die Brutpflege oder auch als Speisekammer. Um so viele Waben zu bauen, braucht es neben jeder Menge Wachs auch reichlich Zeit - das kann schon mal ein ganzes Jahr dauern. Viele Kolonien in der Wildnis sind dieser Aufgabe nicht gewachsen und überstehen das erste Jahr deshalb nicht. 

Im Inneren des Bienenstocks

Innerhalb des Nestes sind die Waben der Lebensmittelpunkt der wilden Honigbienen. Hier produzieren und lagern sie Honig, ziehen ihre Larven und Puppen groß und bewahren Pollen auf. Im Bienennest hat alles seine Ordnung: Jedem Bereich ist eine feste Funktion zugeordnet. Damit keine der Bienen durcheinander kommt und sich verläuft, gibt es Wegweiser in Form von chemischen Orientierungsmarken. So kommt jede Arbeiterin auch genau dort an, wo sie hin gehört. 
In jedem Bienenstock, egal ob beim Imker oder in der freien Natur, herrscht stets summende Geschäftigkeit. Tausende Bienen arbeiten in verschiedenen Teilen des Stockes simultan an ihren Aufgaben. Was sie gerade machen, hängt hauptsächlich von ihrem jeweiligen Lebensabschnitt ab. Einen Großteil ihres Lebens verbringen sie nicht bei der Honigsuche, sondern im Inneren des Stockes: Von Brutpflege über Reinigungsarbeiten bis hin zum Wachdienst am Eingang gibt es immer reichlich zu tun!
Auch die Temperatur im Nest unterliegt keineswegs dem Zufall. Heizerbienen sind dafür verantwortlich, die Temperatur im Nest zu erhöhen, damit es die Brut kuschelig warm hat. Wird es den Bienen im Sommer wiederum zu heiß, können sie die Temperatur im Nest senken, indem sie Wasser auf den Waben versprengen und durch eifriges Flügelfächern für Luftdurchzug sorgen. Auf diese Weise kann auch die Luftfeuchtigkeit von den Bienen geregelt werden – das erleichtert nicht nur die Einlagerung von Honig, es beugt auch Schimmel vor. In Sachen Klima haben die Nester wildlebender Honigbienen noch eine weitere Besonderheit: Die Luft bildet keinen einheitlichen Körper. Vielmehr wird sie durch die einzelnen Waben “in Scheiben geschnitten”. In jeder Wabengasse können die Bienen so ein neues Mikroklima entstehen lassen. 

Bienenkette

In der Kette zum Ziel: Wie Bienen Waben bauen 

Bei wildlebenden Honigbienen ist es schwierig, dieses seltene Phänomen zu beobachten, Imker hingegen kommen mit etwas Glück in den Genuss: Bauen Bienen geradlinige Waben, bilden sie sogenannte Bauketten. Hierbei verhaken sie ihre Beine ineinander und hängen so als Kette unterhalb der Waben. Bisher wurde angenommen, dass sie so versuchen die Waben im Lot zu bauen. Dagegen spricht jedoch, dass wildlebende Honigbienen solcherlei Ketten nicht nur beim Wabenbau bilden. Sie schlafen in diesen Verkettungen, auch “Schlafsack” genannt. Ist es kalt, sind die Ketten engmaschiger, ist es warm, sind die Maschen weiter geknüpft. Welche genauen Funktionen diese Ketten also haben und wieso sie selten bis gar nicht bei Imkern vorkommen, konnte noch nicht durch wissenschaftliche Erkenntnisse belegt werden. 
Da Honigbienen weitestgehend auf die Fürsorge ihrer Imker angewiesen sind, gibt es heutzutage leider nur noch wenige wildlebende Honigbienenvölker. Dabei bleibt unklar, wie viele es genau sind: Die Nester sind nur schwer zu finden und die weitläufigen Waldgebiete in Deutschland erschweren die Aufgabe noch zusätzlich. Schätzungen zufolge könnte es hierzulande 4.400 bis 5.600 wilde Honigbienenvölker geben. Vielleicht hast Du Glück und kannst auf Deinem nächsten Waldspaziergang eines der seltenen Nester entdecken! 

Mehr über wildlebende Honigbienen erfährst Du zum Beispiel in “Honigbienen - geheimnisvolle Waldbewohner” von Ingo Arndt und Jürgen Tautz, erschienen im Knesebeck Verlag.

Ein Beitrag von Zoe von nearBees
vom 13.09.2021