Unterwegs mit den Bienen
Die Ogiek in Kenia
Mit Bienen um die Welt
Honig ist seit jeher ein begehrtes Gut: Schon Höhlenmalereien, die auf die Zeit zwischen 10.000 und 6.000 v. Chr. datiert werden, zeigen wie Steinzeitmenschen ein Bienennest ausrauben, um an den süßen Honig zu kommen. Mit der Sesshaftwerdung der Menschen entwickelte sich auch die Bienenhaltung, die für beide Seiten Vorteile mit sich brachte: Während die Biene Schutz und Pflege erhielt, kam der Mensch im Gegenzug einfacher an den leckeren Honig.
Über die Zeit hinweg haben sich unter den verschiedensten natürlichen Gegebenheiten und kulturellen Hintergründen einzigartige Imkereipraktiken entwickelt, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Wie wird Bienenhaltung also in anderen Ländern betrieben? Altbewährte Imkerraditionen, neue Trends bei der Bienenhaltung, spannende Kuriositäten oder sogar lebensgefährliche Honigernten - wir nehmen Dich mit auf eine spannende Reise rund um die Welt. Heute: Kenia.
Länderfakt
Bienen bestimmen die Wanderrouten der Naturvölker in Kenia.
Steckbrief
Land: Kenia
Region: Mau-Wald (Rift Valley)
Klima: tropisch
Heimische Honigbienenarten: Ostafrikanische Hochlandbiene (Apis mellifera scutellata), Ostafrikanische Bergbiene (Apis mellifera monticola)
Trachtpflanzen: Pfauenblume
“Biene” in der Landessprache: nyuki
“Honig” in der Landessprache: asali
Hüter der Pflanzen und Tiere: Das Volk der Ogiek im Mau-Wald
Einer der größten noch existierenden indigenen Wälder ist der Mau-Wald in Kenia. Dort wachsen noch eine Vielzahl heimische Pflanzen und viele exotische Tiere, wie zum Beispiel die Afrikanische Goldkatzen oder das Riesenwaldschwein, finden in den Tiefen des Waldes ein Zuhause. Seit Generationen bewohnt das Naturvolk der Ogiek, deren Name übersetzt so viel bedeutet wie “die Hüter der Pflanzen und Tiere”, den Bergwald. Ihrem Namen machen sie alle Ehre, denn das Volk lebt bereits seit Jahrhunderten im Einklang mit der Natur. Honig hat einen ganz besonderen Stellenwert in ihrer Tradition: Er dient nicht nur als Grundnahrungsmittel, sondern wird auch als Tauschmittel verwendet. Und auch der kulturelle Wert des flüssigen Goldes ist bei den Ogiek groß: Neugeborene werden nach ihrer Geburt mit einem Löffel Honig auf der Welt willkommen geheißen.
Den Bienen auf der Spur
Anders als in der gängigen Wanderimkerei zieht der Stamm der Ogiek nicht mit den Bienenvölkern umher, sondern sie folgen wie Nomaden den Bienen. Je nach Jahreszeit und Witterung lassen sich die Bienen in unterschiedlichen Zonen des Hoch- und Tieflandes des Mau-Walds nieder. Die Ogiek dokumentieren das Wanderverhalten der Insekten sowie die Auswirkungen bestimmter Wettermuster, sodass sie sich gut auf die Wanderrouten die Bienen einstellen können. Sie ziehen ihnen hinterher, platzieren die Beuten in den entsprechenden Gebieten und verweilen dort eine Zeit lang. Damit sich die einzelnen Untergruppen des Ogiek-Stammes dabei nicht in die Quere kommen, wurden Gebiete in allen Zonen des Hoch- und Tieflandes ihnen fair verteilt und den Gruppen zugewiesen. Auf diese Weise haben alle die Möglichkeit, den Bienen zu folgen und ihren Honig zu ernten.
Natürlicher Beutenbau
Die Beuten der Ogiek bestehen ausschließlich aus natürlichen Materialien und werden von den tapferen Honigsammlern hoch oben in den Baumwipfeln befestigt. Das Naturvolk ist überzeugt, dass die Bienen diese Art der Behausung besser annehmen als moderne Bienenstöcke. Für die Herstellung der traditionellen Beuten wird ein Baumstamm der Roten Zeder halbiert und anschließend ausgehöhlt. Beide Hälften werden dann mit Stricken zusammengebunden und mit der Rinde des Torokwet-Baumes umwickelt, was der Isolation dienen soll. Die Enden der Beute werden verschlossen, sodass lediglich ein kleines Loch für die Honigernte offen bleibt.
Für die Honigernte gibt es keine feststehenden Zeiträume. Wie bei der Wanderschaft auch hören die Ogiek voll und ganz auf die Natur. Die Honigsammler beobachten die Bienen sorgfältig - fliegen sie trotz üppigem Trachtangebot nicht mehr, dann sind die Waben voll mit Honig! Geerntet wird in den Abendstunden. Ausgerüstet mit einem Rauchbündel aus der Rinde der Zeder, machen sich die Ogiek auf dem Weg nach oben. Damit sich auch in den kommenden Jahren die Bienen in den Beuten ansiedeln werden, entnehmen die Ogiek ihnen nur ein Viertel des flüssigen Goldes - der Großteil wird dem Bienenvolk überlassen.
Streit um den Mau-Wald
Leider ist die einzigartige Lebensweise der Ogiek im Einklang mit Natur und Bienen in Gefahr. Nicht nur die Abholzung des Mau-Waldes, dessen wertvolle Trachtpflanzen Bauholzplantagen weichen müssen, erschweren dem Naturvolk seine Lebensweise. Auch die kenianische Regierung will das Volk mit allen Mitteln aus der Region Ost-Mau vertreiben, um ihre wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Der Vorwand der Regierung: Die Ogiek würden durch ihre Lebensweise den Gebirgswald zerstören.
Das lassen die Ogiek nicht auf sich sitzen und wenden sich an die afrikanische Kommission für Menschenrechte. Im Jahr 2017 kommt es zu einer vorläufige Einigung im zwölfjährigen Rechtsstreit um den Mau-Wald: Die Ogiek sind nicht für die Zerstörung des Gebirgswaldes verantwortlich und haben ein Recht auf die Nutzung der natürlichen Ressourcen. Dieses Urteil blieb bis jetzt aber noch folgenlos. Während der Corona-Pandemie wurden die Ogiek erneut aus Ost-Mau vertrieben - ein bitterer Rückschlag für das Naturvolk und alles, wofür sie stehen.