Konkurrenz auf der Blumenwiese
Gute Wildbiene und böse Honigbiene?
In Deutschland gibt es immer weniger Bienen - seien es nun Wild- oder Honigbienen. Aber beide Arten sind von äußerster Wichtigkeit für die Artenvielfalt und unser Ökosystem. Geht es um Bienenschutz, so ist besonders die Honigbiene in der öffentlichen Meinung präsent, mehr noch als ihre wilden Schwestern. Ein Grund ist sicherlich ihre fleißige Produktion von Honig - denn wer kann dem süßen Gold schon widerstehen? Spätestens mit dem Volksbegehren Artenvielfalt, das unter dem Motto “Rettet die Bienen” stand, ist die Honigbiene zum Wappentier für den Bienenschutz aufgestiegen.
Doch in den letzten Wochen und Monaten werden Stimmen immer lauter, dass wir keine weiteren Honigbienen mehr brauchen und wir unsere Konzentration beim Bienenschutz stattdessen auf die Wildbienen richten sollten. Die Honigbienen würden den Wildbienen die Nahrung streitig machen und sie so verdrängen. Basis für diese Aussagen sind hauptsächlich US-amerikanische Studien, die in den letzten Jahren durchgeführt wurden. Doch wie ist die Situation wirklich? Wir haben Dir einen Überblick über das Thema zusammengestellt.
Der Speiseplan der Bienen
Wild- und Honigbienen teilen sich, gemeinsam mit anderen bestäubenden Insekten, eine Nahrungsquelle: Nektar und Pollen von verschiedensten Blüten. Ein großer Unterschied zwischen den Honig sammelnden Insekten und ihren wilden Schwestern ist allerdings, dass Wildbienen in der Regel nicht staatenbildend sind. Die meisten von ihnen sind Einzelkämpfer und versorgen sich und ihre Nachkommen alleine mit Nahrung. Eine Ausnahme bilden beispielsweise viele Hummelarten, die in kleinen Völkern zusammenleben - die Komplexität von Honigbienenvölkern erreichen sie aber nicht. Um aber alle im Stock ernähren zu können, müssen Honigbienen auch sehr viel Nektar und Pollen sammeln - mehr als eine einzelne Wildbiene auf jeden Fall. Ein einzelnes Bienenvolk hat also einen sehr hohen Nahrungsbedarf.
Außerdem sind Honigbienen blütenstet: Das heißt, ein Volk konzentriert sich auf die ergiebigste Pflanze im Umkreis, die es finden kann. Beliebt sind zum Beispiel Raps, Linde oder auch Obstblüten, sogenannte Massentrachten. Sind gegen Herbst die Massentrachten dann aber verblüht, so wird die Konkurrenz größer: Jeder möchte noch ein bisschen Nektar ergattern, aber die Auswahl ist eingeschränkt.
Bei der Nahrungssuche macht auch die Anatomie der unterschiedlichen Bienenarten einen Unterschied, insbesondere die unterschiedlich langen Rüssel. Honigbienen haben in aller Regel einen kurzen Rüssel und kommen so nur schwer an den Nektar in tieferen Blütenkelchen. Einige Wildbienenarten dagegen, darunter Holzbienen, verfügen über einen langen Rüssel. So fliegen Honig- und Wildbienen teilweise ganz von selbst verschiedene Pflanzenarten an und kommen sich nicht in die Quere.
Blütenstetigkeit hat aber auch Vorteile: Während Honigbienen ganz auf eine Pflanze konzentriert sind, können Wildbienen solange Nektar und Pollen von anderen Pflanzen sammeln und stehen dort nicht sonderlich in Konkurrenz. Ein Problem haben sie jedoch, zumindest ein Drittel der Wildbienen: Sie sind oligolektisch. Das bedeutet, dass sie nur von ganz spezifischen Pflanzen oder zumindest Pflanzen bestimmter Familien ihren Pollen sammeln. Dadurch sind die Insekten bei der Wahl der Nahrungsquellen stark eingeschränkt. Sammeln Honigbienen als Generalisten nun von der bevorzugten Blüten Pollen und Nektar, so haben oligolektische Wildbienen tatsächlich ein Problem.
Konkurrenz von Wild- und Honigbienen in der Forschung
Das Verhältnis zwischen Honig- und Wildbienen ist auch in der Fachwelt ein heiß diskutiertes Thema. Immer mehr Studien werden zur Konkurrenzsituation der beiden Bestäuber durchgeführt, sehr viele davon in Nordamerika. Viele kommen zum Schluss: Sind in einer Region eine Vielzahl an Honigbienenvölkern angesiedelt, so beeinflusst das die Anzahl der Blütenbesuche durch Wildbienen sowie die besuchten Pflanzen. Ob die wilden Bestäuber aber tatsächlich langfristig von ihren Honig sammelnden Schwestern verdrängt werden, geht aus den meisten Studien nicht klar hervor. Einer der Gründe dafür ist, dass im Mittelpunkt der Forschungsfrage meist gar nicht stand, ob die eine Art die andere verdrängt. Deshalb ist es schwer, aus den erhobenen Daten so etwas abzuleiten.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Dauer der Beobachtung: In den meisten Studien wird nur ein kurzer Zeitraum betrachtet, sodass es sich lediglich um eine Momentaufnahme handelt. Um festzustellen, ob Honigbienen ihre wilden Schwestern aber auch auf lange Sicht von ihren angestammten Trachtpflanzen verdrängen, müssten Daten über einen längeren Zeitraum hinweg erhoben werden. Experten sehen hier eine Forschungslücke.
Die ersten Siedler in den USA und ihre Honigbienen
Bei vielen der vorliegenden Studien besteht noch ein viel größeres Problem: Die meiste Forschung zu dem Thema kommt aus den USA und ist damit nur bedingt auf Deutschland bzw. Europa übertragbar. Der Grund dafür liegt in einer ganz einfachen Tatsache: Honigbienen kämen ohne den Menschen in den USA überhaupt nicht vor, sondern sind eine eingeschleppte Spezies.
Bevor die ersten Siedler nach Nordamerika zogen, wurde die Flora dort von Wildbienen und anderen Insekten bestäubt. Honigbienen aber waren weit und breit nicht in Sicht. Als der Kontinent dann von den Europäern “entdeckt” wurde und die ersten Menschen dorthin zogen, vermissten sie ihr Süßungsmittel - denn lange Zeit war Honig die einzige Möglichkeit, Speisen zu süßen. Also mussten Honigbienen her, die die Siedler bald auch aus Europa mitbrachten und so in Nordamerika ansiedelten. In der Geschichte der Evolution sind 400 Jahre allerdings nur ein winziger Augenblick: Wild- und Honigbienen in den USA sind sich mehr oder weniger fremd, während in Europa, Afrika oder Asien die Insekten Millionen von Jahren hatten, sich aneinander zu gewöhnen.
Teamwork bei der Bestäubung
Auch, wenn Wild- und Honigbienen teilweise dieselben Pflanzen anfliegen, um Nahrung zu sammeln - diese Art von Konkurrenz muss nicht zwingend schlecht sein. Die Bestäubungsleistung der Insekten ist insbesondere für die Landwirtschaft von großer Bedeutung. Während Obst, Gemüse und andere Nutzpflanzen Studien zufolge hauptsächlich von Honigbienen bestäubt werden, leisten Wildbienen einen genauso wichtigen Beitrag.
Da Honigbienen meist erst bei bestimmten Temperaturen bzw. bei einem bestimmten Lichteinfall ausfliegen, können sie von Wildbienen gut ergänzt werden. Einige Arten fliegen schon bei niedrigeren Temperaturen im Frühjahr oder Herbst oder bei niedrigerem Lichteinfall aus. Durch die Arbeit von Honig- und Wildbienen gemeinsam erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für die einzelnen Pflanzen, bestäubt zu werden - davon profitieren dann letztendlich sowohl wir Menschen als auch die Insekten selbst.
Die meisten Studien zur Bestäubungsleistung behandeln allerdings von Landwirten angebaute Nutzpflanzen - für Wildpflanzen liegen sehr viel weniger Daten vor. Hier herrscht also noch Forschungsbedarf, bevor ein endgültiges Urteil gefällt werden kann.
Mehr Vielfalt für mehr Wildbienen
Was Honig- und Wildbienen gemein haben, ist, dass sie nicht nur ein reichhaltiges Nahrungsangebot brauchen, sondern auch ein vielfältiges. Ausschließlich Monokulturen auf den Feldern zu haben, ist langfristig keine gute Nachricht für Bienen. Wichtig ist außerdem, dass noch mehr auf ganzjährige und vor allem insektenfreundliche Bepflanzung geachtet wird. Ganzjährige Bepflanzung hilft Bienen, auch im Herbst oder Frühling ausreichend Nahrung zu finden, wenn nur wenige Blüten zu finden sind. Bei der insektenfreundlichen Bepflanzung ist es wichtig, keine Hybride oder Pflanzen mit gefüllten Blüten zu wählen, da diese keine oder kaum Nahrung für die Insekten bieten. Dann mag der Garten zwar hübsch anzusehen sein, aber die Insekten bleiben auf Dauer fern.
Ein Risikofaktor bei der Konkurrenz sind allerdings kleinflächige Lebensräume, z. B. in landwirtschaftlich stark genutzten Habitaten oder in kleinen Naturschutzgebieten. Hier kann es oft dazu kommen, dass zu wenig Nahrung für alle Insekten vorhanden sind. In solchen Stellen kann man darüber nachdenken, das Aufstellen von Honigbienen zu beschränken - in manchen Regionen wird das so bereits praktiziert. Wichtig bei so einer Regelung ist allerdings Transparenz bei der Ausweisung dieser Gebiete.
Diskutiert man die Gefährdung der Wildbiene, sollte aber auch beachtet werden, dass Konkurrenz in Sachen Nahrung zwischen ihr und der Honigbiene nicht das einzige Problem sind - und vielleicht auch nicht das größte. Denn Wildbienen macht vor allem der Mangel an Nistplätzen zu schaffen. Dabei haben die vielen verschiedenen Arten unterschiedlichste Ansprüche: Während die einen in Mauerritzen nisten, haben andere eine Vorliebe für Pflanzenstängel oder Totholz. Wieder andere Wildbienen richten ihre Kinderstube in sandigen Böden oder gar in Schneckenhäusern ein. Die Vielfalt ist also groß - und auch hier sollte an den Schutz der Wildbienen gedacht werden.
Honig- und Wildbienenschutz geht Hand in Hand
Die Frage, ob Honigbienen Wildbienen verdrängen, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Um sie abschließend beantworten zu können, bedarf es noch weiterer Forschung, insbesondere solche aus Europa sowie Langzeitstudien.
Es lässt sich aber durchaus feststellen, dass Honigbienen als Wappentier beim Kampf gegen das Insektensterben für viele ein erster Berührungspunkt mit Bienen sind. Insofern sind sie zu einer Art Botschafter geworden - und diesen Status haben sie nicht zu unrecht. Es ist wahr, dass Honigbienen einen einfacheren Stand als Wildbienen haben, nicht zuletzt, weil sie im Gegensatz zu ihren wilden Schwestern ihre Imker bzw. Imkerinnen haben, die auf sie Acht geben. Diesen Luxus haben Wildbienen nicht, weshalb viele Arten vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben sind.
Aber auch der Bestand an Honigbienen ist zurückgegangen: Hatten Imker und Imkerinnen in Deutschland am Anfang des 20. Jahrhunderts noch rund 2,6 Millionen Bienenvölker, so sind es mittlerweile nur noch 1,1 Millionen. Es gibt aber auch gute Nachrichten: Die Anzahl der Neuimker in Deutschland steigt wieder, da Bienenhaltung zu einer Art Trend geworden ist. Wildbienen sollten aber dennoch nicht vergessen werden.