“Das Insektensterben ist kein neues Phänomen”
Ein Gespräch mit Professor Thomas Fartmann
Das Insektensterben ist nach wie vor eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Ohne Insekten ist unser Ökosystem nicht vollständig - und das hat drastische Folgen für uns alle. Auf der einen Seite stehen die Pflanzen: Rund 80 Prozent von ihnen sind hierzulande auf Fremdbestäubung angewiesen. Ohne Insekten gibt es also kaum Bestäubung - was wiederum ein Problem für uns Menschen darstellt. Wollen wir einen reich gedeckten Esstisch genießen, so müssen Obst und Gemüse während ihrer Blütezeit bestäubt werden.
Auch auf andere Tiere hat der Rückgang der Insekten einen starken Einfluss. Viele Vögel beispielsweise ernähren sich von Insekten - sind diese nicht mehr verfügbar, geht auch für diese Vögel die Nahrungsquelle zur Neige und sie müssen an einen neuen Ort ziehen.
Unser Gesprächspartner: Thomas Fartmann
Professor Dr. Thomas Fartmann, Leiter der Abteilung für Biodiversität und Landschaftsökologie an der Universität Osnabrück, beschäftigt sich mit eben diesem Themenkomplex. Forschungsschwerpunkte liegen auf der Untersuchung der Auswirkungen des Landnutzungs- und Klimawandels auf die Biodiversität (global change biology), die Störungsökologie (disturbance ecology) sowie die Renaturierungsökologie (restoration ecology). Was bedeutet das im Klartext? Fartmann beschäftigt sich mit dem Einfluss der Menschen auf die Natur und ihre Artenvielfalt und damit, wie man unser Ökosystem wieder weitgehend in den Zustand versetzen kann, in dem es vor dem massiven Eingreifen des Menschen war.
Das Insektensterben in Deutschland und seine Ausmaße
Großen Einfluss auf das Bewusstsein über das Insektensterben hatte 2017 das Forschungsprojekt des Entomologenvereins Krefeld: die sogenannte “Krefelder Studie”. Die ehrenamtlichen Insektenkundler konnten in ihrer wissenschaftlichen Untersuchung nachweisen, dass die Biomasse der Insekten zwischen 1989 und 2016 um drei Viertel zurückgegangen ist. Spätestens seit dieser Erkenntnis sollte jedem klar sein, wie ernst die Situation ist.
Doch getan hat sich seitdem nicht viel. “Substanzielle Maßnahmen, die eine Trendumkehr bewirken könnten, sind nicht erfolgt”, schätzt Fartmann die Situation ein. Dabei ist das Insektensterben keineswegs ein neues Phänomen. “Insbesondere von 1950 bis 1990 waren die Rückgänge der Insektenabundanzen und -artenvielfalt dramatisch”, erklärt Fartmann. Grund hierfür war damals vor allem der vermehrte Einsatz von Insektiziden, insbesondere in den Wäldern. Erst ein Verbot von als Insektizide genutzter chlorierter Wasserstoffe wie DDT und Dieldrin Anfang der 70er Jahre führte zu einer langsamen, aber sicheren Erholung der Insektenbestände.
Landnutzungswandel als Gefahr
Gründe für das Insektensterben sieht Fartmann in der Landnutzungsweise, aber auch im Klimawandel. Am größten sei der Verlust allerdings eindeutig in Agrarlandschaften - an erster Stelle sei der Landnutzungswandel verantwortlich. Für Deutschland ist hierbei sowohl die Zunahme von Siedlungsgebieten und Verkehrsflächen charakteristisch als auch die Intensivierung der Landwirtschaft - vorhandene Agrarflächen sollen also mit größtmöglichem Ertrag genutzt werden. Dafür werden unter anderem Pestizide, chemische Dünger, aber auch Antibiotika eingesetzt.
Eine besonders umstrittene Gruppe von Insektiziden sind die Neonicotinoide, die als Nervengift auf die Nervenzellen von Insekten wirken und die Weiterleitung von Reizen stören. Neonicotinoide werden auf Kulturpflanzen gesprüht oder auch zur Behandlung von Saatgut eingesetzt. Sie richten sich aber nicht nur gegen Schädlinge - auch für Nützlinge sind sie nicht sonderlich bekömmlich. Die Aufnahme von Neonicotinoiden über Pollen und Nektar könne bei Bienen bis zum Tod führen, erklärt Fartmann.
Wegen ihrer Schädlichkeit für Bienen entzog die EU in den letzten Jahren vielen dieser Insektiziden ihre Zulassung oder erneuerte sie nicht noch einmal. In vielen EU-Staaten gibt es aber immer wieder Notfallzulassungen, die aus Sicht des Bienenschutzes kritisch zu betrachten sind.
Die Bedeutung vielfältiger Landschaften für Insekten
Ein abwechslungsreicher Lebensraum spielt für Insekten eine wichtige Rolle - aber wieso? Die Antwort auf diese Frage ist vielschichtig, wie Fartmanns Antwort auf diese Frage klarmacht. “Viele Insektenarten benötigen für eine erfolgreiche Entwicklung der einzelnen Stadien (Ei, Larve, mögliches Puppenstadium und adultes Tier / Imago) häufig ganz unterschiedliche Teillebensräume. Bei Libellen erfolgt beispielsweise die Larvalentwicklung im Wasser, die Imagines (erwachsene Tiere) hingegen machen in insektenreichen Landhabitaten Jagd auf ihre Beute. Viele Insektenarten sind somit zwingend auf eine Lebensraumvielfalt angewiesen”, führt er aus.
Durch eine abwechslungsreiche Umgebung könnten aber auch die durch den Klimawandel verursachten Wetterextreme ausgeglichen werden. In heißen Jahren ist es den Insekten beispielsweise möglich, auf kühlere Nordhänge auszuweichen, während sie in kalten Jahren die Wärme auf Südhängen suchen. Ist ihr Lebensraum dafür aber nicht vielfältig genug, können sie auch nicht auf diese Art und Weise ausweichen und sind den Wetterschwankungen ausgeliefert.
Gemeinschaftsprojekt Insektenschutz
Viele Menschen tun bereits ihr Bestes: Sie kaufen regional ein, bepflanzen ihren Garten bienenfreundlich und stellen Wildbienenhotels auf. Manch einem stellt sich hier die Frage, wie viel die eigenen Bemühungen überhaupt bringen angesichts des Ausmaßes des Insektensterbens. Fartmann sieht hierin aber einen wichtigen Ansatz: Die Beschäftigung jedes Einzelnen mit dem Thema sei die Grundlage dafür, dass die komplexen Zusammenhänge verstanden und die Begeisterung für Insekten geweckt würde. Doch einzelne Personen können das Problem nicht ganz alleine anpacken. “Die großflächige Umsetzung von Maßnahmen zum Insekten- und Biodiversitätsschutz hängt dagegen von der Bereitstellung entsprechender Finanzmittel durch die Politik ab, beispielsweise im Rahmen der EU-Agrarpolitik”, sagt Fartmann.
So werden bienenfreundliche Bepflanzung, Wildbienenhotels & Co. uns zwar nicht sofort zum Ende des Insektensterbens bringen, aber diese Maßnahmen bilden einen wichtigen Grundstock dafür, das Bewusstsein über das Phänomen zu stärken und eine gesellschaftliche Diskussion anzustoßen, die hoffentlich auch in der Politik ankommt.
Mehr über das Thema Insektensterben kannst Du in “Insektensterben in Mitteleuropa. Ursachen und Gegenmaßnahmen” von Thomas Fartmann, Eckhard Jedicke, Gregor Stuhldreher und Merle Streitberger, erschienen im Verlag Eugen Ulmer, nachlesen. Dort wird umfassend das Ausmaß und der Verlauf des Insektensterbens geschildert - außerdem zeigen die Autoren und Autorinnen Gegenmaßnahmen auf.