Klein, aber fein
Insekten des Jahres 2023
Jedes Jahr aufs Neue beraten verschiedenste Experten und namhafte Insektenkundler, wer sich mit Titeln wie “Insekt des Jahres”, “Libelle des Jahres” oder “Wildbiene des Jahres” schmücken darf. Die Wahl ist dabei nicht leicht, denn unter den zahlreichen Vorschlägen wimmelt es nur so von würdigen Siegern. Hat sich eine Gewinnerart gegen mehr als eine Millionen Konkurrentinnen durchgesetzt, darf sie sich ein Jahr im Rampenlicht sonnen, bevor dann eine andere gekürt wird.
Die kleinen Krabbler sollen so der breiten Öffentlichkeit näher gebracht werden, da sich viele Menschen eher vor Insekten ekeln, als sie wertzuschätzen. Dabei leisten die Nützlinge Beachtliches: Jedes Jahr bestäuben sie Abertausende von Pflanzen. Erst dadurch ermöglichen sie eine reichhaltige Obst- und Gemüseernte und - noch viel wichtiger - sichern die Existenz von Bäumen, Sträuchern bis hin zu Blumen und Gräsern. Insekten sind außerdem eine wichtige Nahrungsgrundlage für andere Tierarten, wie Vögel oder Amphibien. Durch die Ernennung der Insekten des Jahres soll nicht nur auf deren Relevanz aufmerksam gemacht, sondern auch Vorurteile abgebaut und zum Schutz der Arten aufgerufen werden.
Insekt des Jahres: Landkärtchen
Wenn Du die Gewinnerin des Jahres 2023 in der Kategorie Insekt des Jahres entdecken möchtest, lohnt sich ein Blick auf die Landkarte: Halte einfach nach Gewässern Ausschau - dort wirst Du sie finden. Das Landkärtchen (Araschnia levana) liebt feuchte Stellen, wo es seine Eier ablegen kann, die auf eine hohe Luftfeuchtigkeit angewiesen sind. Neben einem humiden Lebensraum fühlt es sich besonders an der Großen Brennnessel heimisch, an deren Blattunterseite das Landkärtchen seine Eier anbringt.
Sein außergewöhnlicher Name ist übrigens kein schlechter Landkartenwitz, sondern orientiert sich an dem netzartigen Aussehen der Flügelunterseiten, woran sich das Landkärtchen gut identifizieren lässt. Das Unterscheiden von Männchen und Weibchen ist dabei etwas schwieriger: Abhängig vom Geschlecht variiert die Größe der Flügel. Das Weibchen ist mit einer Spannweite von bis zu 43 Millimetern etwas imposanter als das Männchen, welches maximal auf 38 Millimeter kommt.
Outfits für jede Jahreszeit
Der Schmetterling hat sich den ersten Platz aber aus einem ganz bestimmten Grund so richtig verdient: Er zeichnet sich durch seinen Saisondimorphismus aus. Das heißt, dass die Falter, die im Frühjahr fliegen, sich in der Farbe von Sommerlandkärtchen unterscheiden. Die Frühjahrsgeneration ist orange mit schwarzen Mustern, wohingegen die Sommervariante vorwiegend schwarz ist. Ob ein Landkärtchen den Frühling oder den Sommer unsicher macht, hängt von der Entwicklung als Raupe ab. Wächst diese mit über 15 Stunden Licht heran, hält sie keine Ruhepause und wird gleich im Sommer aktiv. Die Frühlingsform entsteht, wenn die Raupe nur spärlich Sonne abbekommt. Dann legt sie eine Pause ein, überwintert und zeigt sich erst im Frühling als orangener Falter. Eine optische Mischform kann sich außerdem mit der Spätherbstgeneration bilden. Sie wächst heran, wenn die Raupe weder viel noch wenig Sonne tankt. Je nach Tageslänge schütten die Gene der Landkärtchenraupe also früher oder später Hormone aus. Geschieht das früh, entwickelt sich die Sommervariante. Bis heute streiten Wissenschaftler, welchem Zweck die unterschiedlichen Färbungen der Schmetterlinge dienen.
Das Landkärtchen ist noch bis heute weit verbreitet und gilt als Indikator für ein intaktes Ökosystem. Durch intensive Landwirtschaft, Verstädterung und Monokulturwälder geht aber auch sein Bestand leider zunehmend zurück. Die Auszeichnung zum Insekt des Jahres 2023 soll auf dieses Problem aufmerksam machen und gleichzeitig seinen noch rätselhaften Saisondimorphismus würdigen.
Schmetterling des Jahres: Ampfer-Grünwidderchen
Von einem Schmetterling zum nächsten: Auch das Ampfer-Grünwidderchen (Adscita statices) räumt 2023 ab! Seine Fühler, die an die Hörner eines Widders erinnern, der blau-grün schimmernde Körper und die grauen Hinterflügel lassen den Schmetterling des Jahres in voller Pracht erstrahlen. Dieser ist das in Deutschland am meisten verbreitete Grünwidderchen und lebt auf feuchten Wiesen, aber auch trockenen Böschungen und Magerrasen. Es ist also ein wahrer Anpassungskünstler!
Sauerampfer gesucht!
Das Ampfer-Grünwidderchen legt seine Eier nebeneinander aufgereiht auf die Unterseite von Sauerampferblättern ab - denn der Raupennachwuchs ernährt sich ausschließlich von sauren Ampferarten. Auf Feuchtwiesen bevorzugt es den Großen Sauerampfer, während in trockenen Lebensräumen der Kleine Sauerampfer aufgesucht wird.
Nachdem die Raupen schlüpfen, überwintern und verpuppen sie sich dort, bis sie ab Mitte Mai als erwachsener Schmetterling in die Luft abheben. Die männlichen Exemplare sind mit einer Spannweite von circa 25 bis 30 Millimetern etwas größer als die Weibchen und haben ausgeprägt gefiederte Fühler, über die sie den Duft der Weibchen wahrnehmen können. Beide Geschlechter fliegen von Mitte Mai bis August, wobei ihre Anzahl im Juni und Juli ihren Höhepunkt erreicht.
Bedauerlicherweise ist das Ampfer-Grünwidderchen gefährdet: Auch wenn Du es mancherorts noch häufig erblicken kannst, sind seine Bestände durch intensive Landwirtschaft und Entwässerung rückläufig. Artenreiche Wiesen mit großen Nektarvorkommen - bevorzugt von lila-blauen Blüten - sind ein Hauptlebensraum dieser Schmetterlinge, werden jedoch durch den Menschen mehr und mehr zerstört.
Libelle des Jahres: Alpen-Smaragdlibelle
Mit ihrer metallisch-grünen Brust glänzt die Alpen-Smaragdlibelle (Somatochlora alpestris) gleich zweimal: Sie ist die Libelle des Jahres 2023 - ein wirklich beeindruckende Leistung! Abgesehen von ihrer auffällig schimmernden Brust zeichnet sie sich durch einen mattschwarzen Hinterleib und blau-grüne Augen aus.
Das bis zu fünf Zentimeter große Insekt gilt als kälteliebend - deswegen fühlt sie sich auf höher gelegenen Gebieten pudelwohl. So findet man sie in den Mooren der Mittelgebirge und an größeren alpinen Gewässern. Das Insekt schlüpft zwischen Mai und Juni und hat einen mehrjährigen Lebenszyklus. Wer die Großlibelle bestaunen möchte, kann das bis August tun. Danach zeigt sie sich nur noch auf Hochlagen.
Der Grund, weshalb die Alpen-Smaragdlibelle den ersten Platz holen konnte, ist allerdings traurig: Sie ist vom Aussterben bedroht und könnte in ein paar Jahren ganz von der Bildfläche verschwinden. Denn die klimawandelbedingte Erwärmung ist nicht nur schädlich für ihre Larven, sondern lässt ebenso die Lebensräume der erwachsenen Libelle unbewohnbar werden. Durch Trockenheit und Hitze ist die Alpen-Smaragdlibelle gezwungen, in noch höhere Lagen auszuweichen. Besonders in den niedrigeren Mittelgebirgen ist jedoch ein Umzug nach oben nicht möglich. Deswegen isoliert sie sich immer mehr von ihren Artgenossen und stirbt langsam aus. Insgesamt sind von den rund 80 heimischen Libellenarten 48 gefährdet.
Wildbiene des Jahres: Frühlings-Seidenbiene
Ein dreifaches Hipp-Hipp-Hurra für die Frühlings-Seidenbiene (Colletes cunicularius), denn sie ist 2023 die Nummer eins aller Wildbienen! Die kleinen Bestäuber fliegen bis Mai und bevorzugen Weideblüten. Als Solitärbienen leben sie alleine an sandigen, vegetationsarmen Böden, Flussauen, Kiesgruben oder sogar in Siedlungsgebieten. Dementsprechend versorgen sie das eigene Nest ohne fremde Hilfe.
Die Wildbiene des Jahres im Porträt
Leider sind auch diese an vielen Orten gefährdet: Obwohl sie sehr anpassungsfähig sind, haben sie mit dem Rückgang geeigneter Nistplätze zu kämpfen. Daher ist es wichtiger denn je, sie und andere Wildbienen, Libellen, Schmetterlinge und Insekten generell zu schützen, damit wir sie nicht nur wegen ihrer Auszeichnungen in Erinnerung behalten, sondern vor allem auch in der Natur weiterhin antreffen können.