Eine Runde Applaus
Insekten des Jahres 2022
Verschiedenste Experten und namhafte Insektenkundler beraten jedes Jahr aufs Neue, wer sich mit Titeln wie “Insekt des Jahres”, “Libelle des Jahres” oder “Wildbiene des Jahres” schmücken darf. Und dabei haben sie die Qual der Wahl, denn unter den zahlreichen Vorschlägen müssen sie würdige Sieger bestimmen. Das ist gar nicht so einfach, schließlich gibt es über eine Million bekannte Insektenarten. Wenn die Entscheidung gefallen ist, dürfen sich die Gewinnerarten ein Jahr im Rampenlicht sonnen, bevor der rote Teppich dann für andere Insekten ausgerollt wird.
Die Krabbler sollen so der breiten Öffentlichkeit näher gebracht werden, da sich viele Menschen sich eher vor Insekten ekeln, als sie wertzuschätzen. Und das obwohl sie Beachtliches leisten: Die Nützlinge bestäuben jedes Jahr Abertausende von Pflanzen. So sorgen sie nicht nur für eine reichhaltige Obst- und Gemüseernte, sondern sichern gleichzeitig das Fortbestehen einer artenreichen Natur. Insekten sind außerdem eine wichtige Nahrungsgrundlage für andere Tierarten, wie Vögel oder Amphibien. Durch die Wahl der Insekten des Jahres soll auf die kleinen Tiere aufmerksam gemacht und Vorurteile abgebaut werden - und vielleicht lässt sich der ein oder andere sogar für ihren Schutz begeistern.
Insekt des Jahres: Schwarzhalsige Kamelhalsfliege
Das Jahr 2021 drehte sich um die Dänische Eintagsfliege. Ende November musste die jedoch zurücktreten für die neue Siegerin: Die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege ist das neue Insekt des Jahres. Von ihr hast Du wahrscheinlich noch nie gehört. Das ist jedoch Absicht: Mit der Kür der Schwarzhalsigen Kamelhalsfliege möchte man zeigen, wie vielfältig Insekten sein können.
Kleines Insekt, langer Hals
Ein Hingucker ist die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege, Venustoraphidia nigricollis, allemal. Bei ihr ist der Name eindeutig Programm: Ihren langer, schwarz-glänzender, gebogener Hals scheint sie nur so gen Himmel strecken zu wollen. Ein derart seltsames Aussehen lässt das Herz langjähriger Insektenforscher höherschlagen.
Ja, man braucht zwar etwas Fantasie, doch wenn man ein Auge zudrückt ähnelt die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege vielleicht tatsächlich einem Kamel. Doch dort, wo sich beim Kamel die geblähten Nüstern und eine sanft-weiche Schnauze befindet, hat die Kamelhalsfliege scharfe Mundwerkzeuge! Damit kann sie besonders leicht Blattläuse fangen und verspeisen - deswegen ist sie für den Menschen auch ein Nützling.
Auch wenn ihre großen und doch filigranen Flügel etwas anderes vermuten lassen, ist die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege kein großer Flugkünstler. Nur selten, wenn der Wind sie hochhebt und vom Standort fortträgt, besiedelt sie neue Gebiete. Ansonsten bleibt sie ihrem Zuhause treu und hüpft und flattert dort etwas ungelenk umher.
Nicht ausgestorben, aber selten
Ihr ungewöhnliches Aussehen ist nicht das einzig Spannende an der Schwarzhalsigen Kamelhalsfliege. Sie ist ein lebendes Fossil! Schon zu Zeiten der Dinosaurier war sie unterwegs und bevölkerte neben Brachiosaurus & Co. die Erde. Damals wimmelte es auf der Erde von Schwarzhalsigen Kamelhalsfliegen, heute sieht das ganz anders aus. Zwar ist sie nicht vom Aussterben bedroht, aber sie ist dennoch selten anzutreffen. Neben dem Klimawandel, der die Temperaturen von extremer Hitze zu frostiger Kälte schwanken lässt, macht ihr auch die industrielle Entwicklung zu schaffen. Am wohlsten fühlt sich die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege an ungestörten Rändern von artenreichen Wäldern. Dort versteckt sie sich am liebsten hoch oben in den Baumwipfeln, wo sie vor menschlichen Blicken verborgen bleibt. Solche Gebiete werden jedoch leider immer seltener.
Schmetterling des Jahres: Kaisermantel
Es sieht nicht nur schön aus, wenn im Sommer bunte Schmetterlinge in unseren Gärten tanzen. Die Falter bestäuben wie auch Bienen fleißig Pflanzen und sorgen für eine artenreiche Natur. Sie sind außerdem Bioindikatoren: Ihr Vorkommen zeigt also an, dass es sich um ein intaktes Ökosystem handelt. In den letzten Jahren schrumpften die Schmetterlingsbestände jedoch massiv und über zwei Drittel der Nachtfalterarten gelten als gefährdet. Seit 2003 wird deshalb jedes Jahr eine Schmetterlingsart gekürt, um auf ihre Bedeutung und Bedrohung aufmerksam zu machen. 2022 darf sich der Kaisermantel (Argynnis paphia) auf das Siegertreppchen stellen.
Animalprint ist im Trend!
Leuchtend gelb-orange Flügel, eine grünlich schimmernde Unterseite und ein braunes Fleckenmuster wie ein Tiger - Der Kaisermantel ist wirklich in Blickfang. Kein Wunder also, dass er das Rennen um den Schmetterling des Jahres 2022 gewonnen hat. Nicht nur sein Aussehen ist auffällig: Mit seinen sechs Zentimetern Spannweite ist Argynnis paphia der größte Perlmuttfalter in Mitteleuropa.
Am liebsten hält er sich in artenreichen Mischwäldern auf - die werden nur leider immer seltener. Mit der Wahl des Kaiserfalters als Schmetterling des Jahres soll die Wichtigkeit von solch gesunden, intakten Wäldern deutlich gemacht werden.
In jungen Jahren wählerisch
In Deutschland lassen sich die ausgewachsenen Kaiserfalter von Juni bis August beobachten. Die rund drei Zentimeter langen Raupen treten ab dem Spätsommer auf und verkriechen sich mit Beginn des Herbstes in geschützte Verstecke, wo sie in Raupenform überwintern.
Im März werden sie dann wieder aktiv und begeben sich auf die Suche nach Futter. Sie haben einen strikten Speiseplan und ernähren sich nur von bestimmten Veilchenarten. Deswegen legen die Weibchen ihre Eier nur an Baumrinden ab, die in der Nähe solcher Arten wachsen. Haben sie genügend Nahrung zu sich genommen, verpuppen sich die Raupen und sind ab Juni als prächtige Kaisermantel kaum wiederzuerkennen.
Die ausgewachsene, schillernden Falter sind dagegen nicht ganz so wählerisch und besuchen gerne die Blüten von verschiedenen Pflanzen, wie Disteln, Flockenblumen und Skabiosen. Zwar gilt der Kaisermantel nicht als gefährdet, er steht jedoch immer mehr unter Druck. In Deutschland gibt es immer weniger Mischwälder und damit schrumpft der Lebensraum des Kaisermantels massiv.
Libelle des Jahres: Kleine Pechlibelle
Seit nunmehr elf Jahren wählt die Gesellschaft für deutschsprachige Odonatologen (GdO) die Libelle des Jahres. So soll auf deren Vielfalt und vor allem ihre Bedrohung aufmerksam gemacht werden. Von rund 80 heimischen Libellenarten stehen 48 auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Im Jahr 2022 macht die Kleine Pechlibelle das Rennen um die Libelle des Jahres und ist damit anders als ihr Name vermuten lässt, ein richtiger Glückspilz.
Wer als erstes da ist, hat gewonnen!
Die Kleine Pechlibelle (Ischnura pumilio) ist zwar weit verbreitet, aber nirgends häufig aufzufinden. Entsteht ein neues Gewässer, ist sie meist eine der ersten Tiere, die den neuen Lebensraum inspizieren - deshalb wird sie auch als “Pionierart” bezeichnet. Wird das Gebiet dann zunehmend von anderen Lebewesen besiedelt, verschwindet die Kleine Pechlibelle wieder.
Den Falter trifft der Klimawandel deshalb besonders hart, denn wegen der steigenden Temperaturen entstehen kaum mehr neue Gewässer. Auch die Pegelstände der bestehenden Seen und Teiche sinken zunehmend, sodass die Kleine Pechlibelle immer weniger Lebensräume findet.
Farbreiches Leben
Die Kleine Pechlibelle ist rund drei Zentimeter lang und erreicht eine Flügelspannweite von 3,5 Zentimetern. Ihren Namen trägt Ischnura pumilio wegen ihres pechschwarzen Hinterleibes. Genau wie ihre Schwester, die Große Pechlibelle, wechselt auch die Kleine Pechlibelle während ihres Lebenszyklus mehrmals ihr Aussehen. Junge Weibchen sind nach dem Schlupf leuchtend orange, werden aber mit fortschreitender Zeit hell- oder olivgrün. In seltenen Fällen nehmen sie sogar eine blaue Färbung ein. Farbgebung ist bei Libellen besonders wichtig, denn sie sind Augentiere und haben so eine ausgeprägte Farbwahrnehmung. Wo wir Menschen nur eine einfarbige Fläche sehen, können Libellen zwischen verschiedensten Farbnuancen differenzieren.
Wildbiene des Jahres: Rainfarn-Maskenbiene
Wildbienen sind maßgeblich für ein gesundes Ökosystem verantwortlich. Trotzdem sind sie seit mehreren Jahren stark gefährdet: Von den über 500 in Deutschland beheimateten Wildbienenarten sind laut Roter Liste mittlerweile 31 vom Aussterben bedroht, 197 gefährdet und 42 Arten stehen auf der Vorwarnliste. Aus diesem Grund wird seit 2013 jedes Jahr eine Wildbiene des Jahres gekürt, um auf die Gefährdung der wichtigen Insekten aufmerksam zu machen. Im Jahr 2022 wurde die Ehre der Rainfarn-Maskenbiene zuteil.
Klein, aber oho!
Um die Rainfarn-Maskenbiene zu erkennen, braucht es fast schon eine Lupe! Sie zählt zu den kleinsten Vertreterinnen der Wildbienen und ist mit einer Größe von gerade mal neun Millimetern nur etwas größer als ein Reiskorn. Deshalb und wegen ihrer dunklen Färbung ist sie sehr unauffällig und ähnelt eher einer schwarzen Wespe als einer Biene.
Ihre weiße Gesichtszeichnung ist sehr charakteristisch und macht ihrem Namen “Maskenbiene” alle Ehre. Dadurch kann man sie noch am ehesten von ihren Artgenossen unterscheiden. Einen weiteren Hinweis zur Artzugehörigkeit sind ihre Blütenbesuche: Die Rainfarn-Maskenbiene fliegt von Ende Mai bis Ende August und besucht zum Pollensammeln ausschließlich Pflanzenarten aus der Familie der Korbblütler. Wie ihr Name vermuten lässt, schmeckt ihr der Rainfarn besonders gut. Aber auch andere Korbblütler, wie Löwenzahn, Sonnenblume oder Ringelblume, sind bei Hylaeus nigritus gern gesehen.
Weil das Weibchen keine Bürsten an den Hinterbeinen oder am Bauch hat, muss sie den Pollen auf andere Wege transportieren: Sie verschluckt den Pollen und trägt ihn in ihrem Kropf zum Nest, wo sie ihn dann gemeinsam mit dem gesammelten Nektar wieder ausspuckt. Ihre Eier legt sie am liebsten in schmalen Ritzen wie zum Beispiel Risse in erdigen Abbruchkanten, Klüfte in Trockenmauern oder auch in Betonwänden.