High werden mit
halluzinogenem Honig?
Ein antiker Drogen-Trip
Was zunächst nach hedonistischem Genuss oder einem spirituellen Ritual klingt, beschreibt in Wirklichkeit den unbewussten Verzehr einer bewusstseinsverändernden Substanz. Bereits im Jahr 401 v. Chr. sollen griechische Streitkräfte Kontakt mit halluzinogenem Honig gehabt haben: Xenophon, ein griechischer Feldherr, Philosoph und Schriftsteller, schildert im Buch Anabasis seinen Versuch, die Stadt Kunaxa einzunehmen. Als dieser jedoch gescheitert war, machte sich Xenophon mit seinem Heer auf den Heimweg und zog dabei über die Dörfer der heutigen Osttürkei. Dort stießen sie bei Trabzon auf wilden Honig - den sie prompt aßen. Dieser ”Mad Honey”, wie er heute genannt wird, sorgte laut Xenophon für heftiges Erbrechen, Durchfall und Halluzinationen. Am nächsten Tag waren jedoch sämtliche Soldaten wieder genesen und der Spuk war vorüber.
Der türkische Honig - Mad Honey Edition
Bienenvölker produzieren auch heutzutage noch den Honig, von dem bereits Xenophon erzählt. Dieser hat gleich mehrere Namen: Pontischer Honig, Türkischer Wildhonig oder Tollhonig. Lokale Imker nennen den Honig auch "Deli Bal”. Die Spezialität findest Du vor allem an der Südküste des Schwarzen Meeres in Nordost-Anatolien, da dort Pontischer Rhododendron (Rhododendron ponticum) wächst. Dieser enthält giftiges Grayanotoxin - eine LSD-ähnliche Substanz. Bemerkenswert ist, dass die Wirkstoffe in der Pflanze für die meisten Tiere toxisch, für die dort heimische Biene jedoch völlig harmlos sind. Während also etwa Menschen, Insekten und auch andere Bienenarten sehr wohl tödliche Erfahrungen mit Grayanotoxinen machen können, bestäuben die lokal ansässigen Honigbienen die Blüten des Rhododendrons, ohne dabei Vergiftungserscheinungen zu zeigen. Bis heute ist ungeklärt, warum die Bienen gegen die Giftstoffe resistent sind.
Erst in Form von Deli Bal werden die Toxine für Menschen genießbar. Das ist jedoch relativ zu sehen, da Pontischer Honig halluzinogen wirkt und bei falscher Dosierung möglicherweise sogar zum Tod führt. Dennoch kann der bitter-süße Deli Bal in kleinen Mengen entspannend und euphorisierend wirken. Im Großen und Ganzen birgt der Konsum des Honigs aber gewisse Risiken und Unwägbarkeiten, mit denen nicht zu spaßen ist.
Ein Ausflug in den Himalaya: Halluzinogener Honig aus Nepal
Der wohl prominenteste Mad Honey stammt aus dem Himalaya - genauer gesagt aus Nepal. Neben seinem häufig erdigen und rauchigen, aber süßen Geschmack ist dieser Honig vor allem für seine halluzinogenen Inhaltsstoffe berühmt. Somit verschlägt es jedes Jahr zahlreiche Touristen nach Nepal, um die Seltenheit zu probieren. Dieser kann ebenfalls nur in Maßen gegessen werden: Zwei Löffel gelten als ungefährlich, wohingegen man ab fünf mit ernstzunehmenden Folgen rechnen muss.
Die Halluzinationen, die durch den Mad Honey aus dem Himalaya verursacht werden, lassen sich auch in diesem Fall auf Grayanotoxine zurückführen. Die Bienen sammeln wie schon beim Deli Bal Nektar von Rhododendron. Die dort heimischen Kliffhonigbienen werden ebenso wenig vom Toxin beeinträchtigt wie ihre türkischen Schwestern. So können auch sie Honig mit halluzinogenen Wirkstoffen erzeugen. Um an das kostbare Gut zu kommen, nimmt das Volk der Gurung große Gefahren auf sich. Die Bewohner angrenzender Bergdörfer klettern auf schwindelerregender Höhe an den Steilwänden und trennen unter dem Zorn jeder einzelnen Kliffhonigbiene die Honigwaben ab. Die gesamte Honigernte in Nepal ist mit traditionellen Ritualen verbunden: So werden unter anderem Hühner oder Ziegen geopfert, um sich bei den Göttern und den Bienen für ihre räuberische Jagd zu entschuldigen. Weitere und detaillierte Informationen über die Honigjagd in Nepal findest Du in diesem Blog.
Weitere Honige mit halluzinogener Wirkung
Abgesehen von den beiden klassischen Vertretern des halluzinogenen Honigs lässt sich auch an anderen Orten auf der Welt Mad Honey finden. Sie stechen aber im Vergleich zum Deli Bal und Nepal-Honig nicht durch ihre besonders starke Wirkung und Bekanntheit hervor. Ein Beispiel einer milderen Form des Mad Honeys ist der Honig aus den Appalachen. Dokumentationen berichten darüber, dass die dort lebende Honigbiene dem örtlichen Rhododendron und dessen Gift trotzt. Das Ergebnis ist ein Honig, der eine leichte halluzinogene Wirkung hervorruft.
Halluzinogener Honig geht jedoch nicht immer auf Bienen zurück, die gegen Grayanotoxine immun sind. So mischten etwa präkolumbianische Völker Mittelamerikas Honig mit anderen psychoaktiven Substanzen. Aber auch heute ist die Kombination aus kommerziellem Honig und halluzinogenen Mitteln eine verbreitete Droge.
Die Dosis macht das Gift
Die Gründe, aus denen einige Leute Mad Honey testen wollen, sind meistens Neugier und der erhoffte Rausch. Trotzdem findet halluzinogener Honig auch als Hausmittel Anwendung: Er soll Stress lösen, Schmerzen verringern, Blutdruck senken und Magenbeschwerden lindern. Angeblich wirkt der Honig des Weiteren heilsam bei Diabetes, lindert Migräne und regt die Denkkraft an. Einige Leute sagen ihm auch eine Steigerung der Potenz und eine wohltuende Wirkung bei Geschwüren, Augen- und Hautkrankheiten nach. So scheint halluzinogener Honig für so manch einen ein echtes Wundermittel zu sein. Ob all diese Wirkungen aber wirklich belegbar sind, sei nun einmal dahingestellt.
Dennoch ist der Grat zwischen einem positiven Ausgang und einer negativen Erfahrung schmal: Mad Honey hat durchaus Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Schwindel und Benommenheit. Bei einer Überdosis wird es zudem lebensgefährlich. Gerade deswegen ist es wichtig, zu beachten, dass die Konzentration des Giftes in den Rhododendronblüten über das Jahr variiert und im Frühling am höchsten ist. Daher weist halluzinogener Honig, der zu dieser Jahreszeit produziert wird, eine größere Menge an Grayanotoxinen auf.
Der Konsum von halluzinogenem Honig ist also durchaus mit einigen ernstzunehmenden Risiken behaftet. Und nicht immer wacht man, wie einst die griechischen Soldaten, fit und wohlgelaunt am nächsten Morgen wieder auf.