Bienensegen
Zauberformeln auf altem Pergament
Seit jeher übt die Biene eine sonderbare Faszination auf den Menschen aus, der sie beobachtet. Nicht anders verhält es sich mit ihrem Honig, der in verschiedensten Kulturkreisen in mythische Sphären erhoben und als etwas göttliches angesehen wurde. Mit dem Wechsel von der Honigjagd zur planmäßigen Zucht der Bienen und dem damit einhergehenden Beginn der Imkerei entstand eine Abhängigkeit von den Schwarmgewohnheiten der Insekten, aber auch von Umwelteinflüssen wie Temperatur und Feuchtigkeit. Viele der Faktoren, die zum Gelingen der Bienenzucht beitragen, waren nicht oder nur rudimentär bekannt, was der Grund war, göttlichen Beistand zu suchen. Noch bevor viele Klöster sich zur Kerzenwachsproduktion mit der Imkerei befassten, entstanden zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert Zaubersprüche, von denen sich auch mehrere der Bienenhaltung widmen.
Ein Manuskript der apokryphen Paulusoffenbarung etwa, das seit dem Jahr 900 im Kloster Lorsch in Südhessen aufbewahrt wurde, enthält einen althochdeutschen Zaubersegen. Die mittlerweile als “Lorscher Bienensegen” bekannte Formel war vermutlich dazu bestimmt, ein schwärmendes Bienenvolk an eine Beute zu rufen und so ein neues Volk zu schaffen: “Sitzt, sitzt, Bienen. Der Befehl kommt von der Jungfrau Maria! Ihr habt keinen Urlaub, fliegt nicht in den Wald.”
Altenglische Zaubersprüche
Überraschende Parallelen gibt es mit dem angelsächsischen “Charm wip ymbe”, der ebenfalls Bienen direkt anspricht und sie bittet: “Setzt euch, ihr Siegfrauen, steigt herab zur Erde. Fliegt niemals wild zum Wald!” Der Terminus der Siegfrau bezeichnet die Biene und stammt vermutlich von dem Vergleich mit kämpfenden Schildjungfern, den mythischen Walküren, die sich in bienenartige Wesen verwandeln konnten. Jacob Grimm, der das Pergament, auf dem der Bienensegen niedergeschrieben war, einsehen konnte, stellte bei beiden Zauberformeln sprachliche Entsprechungen fest. So entspringen wahrscheinlich beide Dokumente einem Bienensegen, der in der vorchristlichen Kultur der Germanen verwurzelt zu sein scheint.
Birnenhonig nach Hildegard von Bingen
Auch Hildegard von Bingen wusste um die Wichtigkeit der Biene und verwendete in ihren Rezepten ausgiebig Honig. Der Bärwurz-Birnenhonig, das so genannte Hildegard-Gold, bestand aus gekochten Birnen, Bärwurz, Galgant, Süßholzwurzel, Bohnenkraut und Honig und soll entgiftend wirken. Oder, um es mit ihren Worten zu sagen: “Die Birnhonig-Kur ist wertvoller als Gold, weil es die Migräne vertreibt und die Dämpfigkeit mindert und alle Fehlsäfte im Menschen vertilgt und den Menschen so reinigt, wie man einen Topf vom Schimmel reinigt.”