Im Großstadtfieber
So werden städtische Gebiete tierfreundlich
Die Großstadt als Naturparadies? Unglaublich, aber wahr! Inmitten von Einkaufsmeilen, Bürogebäude und befahrenen Straßen findet sich ein Mosaik verschiedenster Biotope. Egal ob Gärten oder Mauern, Dachstühle oder Wasserflächen - die Stadt hat für kleine und große Tiere einiges zu bieten. Damit übertrumpft sie häufig sogar das ländliche Umfeld, wo die meisten Gebiete für Landwirtschaft genutzt werden. Für die Tiere bedeutet intensive Landwirtschaft meist langweilige Monokulturen und ein Chemiecocktail aus Pestiziden.
Kein Wunder also, dass immer mehr Lebewesen in den urbanen Raum flüchten. Dort ist die Natur vielfältiger und die Pestizidbelastung geringer - die Großstadt wird zum Ersatzlebensraum. So finden zum Beispiel alleine in Berlin mehr als 17.000 Insekten-, 180 Brutvogel- und 59 Säugetierarten ein Zuhause. Natürlich hält die Stadt für die zugezogene Fauna völlig neue, andere Herausforderungen bereit.
Es geht ein Licht auf
Mitten in der Nacht ist es in Großstädten schon lange nicht mehr stockfinster: Straßenlaternen beleuchten die Straßen, Schaufenster strahlen hell, Werbung flimmert über bunte Videowände und Flutlichter tauchen weitläufige Industrieanlagen in gleißendes Licht. Manche sprechen in diesem Zusammenhang vom “Verlust der Nacht”. Ist Dir schon einmal aufgefallen, dass Du in der Stadt viel weniger Sterne beobachten kannst? Daran ist die Lichtverschmutzung schuld. Von ihr sind auch nachtaktive Tiere betroffen: Vögel verlieren zum Beispiel ihre Orientierung und kollidieren mit beleuchteten Gebäuden.
Auch nachtaktive Insekten leiden unter der Lichtverschmutzung. Nachtfalter und andere Insekten werden von leuchtenden Laternen aus ihrem Lebensraum gelockt und umkreisen die Lichtquelle bis zur Erschöpfung.
Auf Deinem spätabendlichen Heimweg hast Du sicherlich schon einmal einen Insektenschwarm rund um eine flackernde Straßenlaterne beobachten können. An den Lampen finden sie aber weder Nahrung noch können sie sich fortpflanzen. Manche Insekten verenden zudem beim Kontakt mit der heißen Glühbirne.
Die Frage nach der nächtlichen Beleuchtung ist eine Gratwanderung - schließlich braucht es einigermaßen helle Straßen, um sich nachts auch sicher zu fühlen. Deshalb ist die Lösung zunächst, gestalterisches Licht - also Beleuchtung aus ästhetischen oder werblichen Gründen - zu minimieren. Zudem sollten naturnahe Flächen, die schutzbedürftige und vor allem lichtempfindliche Tiere beheimaten, weniger ausgeleuchtet werden.
Grün ist nicht gleich grün
Neben der Beleuchtung ist die Pflege von Grünflächen unerlässlich, um kleinen und großen Tieren einen geeigneten Lebensraum zu bieten. Doch grün ist nicht gleich grün: Viele Gebiete werden zum Beispiel in öde Rasenflächen verwandelt. Dort finden Insekten aber weder Nahrung noch Lebensraum.
Im Vergleich dazu ist auf einer naturbelassenen Blumenwiese jede Menge los. Zwischen blühenden Pflanzen, aromatischen Kräutern und üppigen Stauden können Insekten allerlei Pollen und Nektar entdecken, aber auch Vögel finden dort Nistmöglichkeiten und Überwinterungsplätze. Zwar ist ein kurz geschorener Rasen mancherorts praktisch, aber ein englischer Rasen sollte deshalb nicht der Standard sein.
In der Stadt haben Grünflächen eine Doppelfunktion: Sie dienen als Lebensraum für Flora und Fauna, aber auch der Erholung des Menschen. Sie laden zum Picknicken und Verweilen ein und sorgen auf diese Weise für eine Auszeit vom stressigen Alltag. Eines darf aber nicht in Vergessenheit geraten: Naturschutz und menschliche Erholung schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern können sich mit der richtigen Planung optimal ergänzen. Schließlich ist der Anblick einer blühenden Wiese voller tanzender Schmetterlinge, zwitschernder Vögel und schillernder Insekten wie Balsam für die Seele.
Mit tierfreundlicher Architektur zum Naturparadies
Am einfachsten wäre es natürlich, Grünflächen und blühende Wiesen soweit das Auge reicht zu schaffen. Mit Blick auf Statistiken zum benötigten Wohnraum ist das jedoch wenig realistisch. Wir brauchen Konzepte, die beide Probleme gleichzeitig angehen.
Was die Pflanzenwelt angeht, klappt dies mancherorts bereits ganz gut. Immer mehr Dächer werden begrünt und sorgen für bunte Artenvielfalt in der Höhe. Tiere konnten bisher jedoch wenig berücksichtigt werden.
Das sogenannte Animal-Aided-Design möchte dies jedoch ändern. Nach diesem Ansatz sollen Städte, Landschaften und Freiräume so geplant werden, dass sich wildlebende Tiere dort besonders wohl fühlen. Architektur und Tierrreich sollen verschmelzen und einander dienen. So entsteht ein Raum, in dem Mensch und Tier harmonisch nebeneinander leben können. Animal-Aided-Design zeigt: Wohnungsbau und Naturschutz lassen sich unter einen Hut bringen!
Weil jede Tierart für sich individuell und vielseitig ist, brauchen sie verschiedene Lebensräume, Nistplätze und Futterquellen. Deshalb ist die Herangehensweise bei dieser Art der Planung spezifisch auf die verschiedenen Arten zugeschnitten.
Sorgfältige Planung
Im ersten Schritt werden Zielarten definiert und Porträts erstellt, sodass die artspezifischen Eigenheiten bei der weiteren Planung bedacht werden können. Schließlich benötigt ein Igel andere Gegebenheiten als eine Fledermaus oder ein Schmetterling. Dabei werden Ökologinnen frühzeitig in die Planung miteinbezogen und so entsteht eine Schnittstelle zwischen Architektur und Ökologie, die in der Planung umgesetzt werden soll.
Fertig gebaut steht das Projekt unter genauer Beobachtung: Es soll evaluiert werden, ob sich Tier und Mensch dort gleichermaßen wohlfühlen. Landen desorientierte Fledermäuse ständig im Wohnzimmer? Dann wird der eingebaute Flugschacht unter dem Dach verlegt. Oder siedeln sich wider Erwarten keine Sperlinge an der Fassade an? Dann müssen die Gegebenheiten untersucht und entsprechend angepasst werden. Ein harmonisches Zusammenleben zwischen Mensch und Tier steht stets im Vordergrund und das Projekt soll den Bedürfnissen aller gerecht werden.
Mein Nachbar, die Fledermaus
Wie Animal-Aided-Design funktionieren kann, zeigt ein Münchner Bauprojekt aus dem Jahr 2020. Das Haus öffnet seine Türe nicht nur für menschliche Bewohner: Besonders Igel, Haussperlinge, Grünspechte und Zwergfledermaus sollen sich hier ebenfalls heimisch fühlen. Dafür wurden spezielle Nistquartiere in der Fassade angelegt, wo sich Fledermaus und Spatz sorglos um ihren Nachwuchs kümmern können. Diese wurden so platziert, dass wenig Gefahr besteht, dass sie sich in ein Fenster verirren.
Teil des Konzepts ist außerdem eine „Igelschublade“, die den stacheligen Säugetieren eine gemütliche Überwinterungsmöglichkeit bietet. Neben innovativen Ideen zur Ansiedlung von Wildtieren gehört es auch dazu, bauliche Fallen zu vermeiden. Kellerschächte werden also so gebaut, dass Tiere dort nicht hineinfallen und gefangen sind.
Innovative Ideen auf dem Vormarsch
Was ist also das Fazit? Wachsende Städte bedeuten wachsende Verantwortung. In der Stadt finden Tiere bereits vielfältige Lebensräume, aber trotzdem muss noch einiges getan werden.
Gleichzeitig geht es im städtischen Raum nicht nur um die Natur, sondern auch um den Menschen. Wohnraum wird immer knapper und so müssen wir lernen, Naturschutz und den Ausbau des städtischen Raumes zu vereinen. Diesen Ansatz verfolgt das Animal-Aided-Design, welches zwar noch in den Kinderschuhen steckt, mit seinem innovativen Ansatz uns aber zu einem harmonischen Zusammenleben zwischen Mensch und Tier verhelfen kann.